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In die Füße beißen weggeclickert?

June 19, 2023

Gerd Schreiber von der Hundeschule Sagesch, ein sehr geschätzter Kollege von mir, gibt uns durch seinen folgenden Bericht Einblick in seine Erfahrungen und das Training mit seiner Pflegehündin Fly.

Danke Gerd für den tollen Artikel und für's Teilhaben lassen :-)

Fly

Unser Pflegehund Fly kam im März 2012 zu uns.
Konflikte mit unseren Hunden waren recht selten und wenn sie auftauchten, hauptsächlich dann, wenn Fly sehr aufgeregt war/ist und anfängt zu kreiseln, sind sie dank meiner beiden “saucoolen” Fellnasen auch schnell wieder beigelegt. Spike und Snow deeskalieren sooo toll und wenn sie mal “Gegenhalten”, machen sie das so subtil und Fly kann sich immer besser und immer ruhiger aus der Affäre ziehen… Aber das soll nicht das Thema sein.

Die ersten Monate waren recht unauffällig, die bekannten Baustellen, Angst vor allem und jeden haben wir recht schnell in den Griff bekommen, sie wurde mutiger und immer stabiler. Im Sommer kam es dann zu dem “Vorfall”. Es war ein ziemlich warmer Tag, ich glaube im August, also ca. 5 Monate nach ihrem Einzug bei uns.

Baustellen

Im allgemeinen können wir davon ausgehen, dass sich das Verhalten eines Hundes, welcher ein neues zu Hause bekommt, sich in den ersten 3-6 Monaten nochmal ändert. Baustellen können von selbst verschwinden, neue Baustellen können aus heiterem Himmel auftauchen und uns vor vollendeten Tatsachen stellen.
Ersteres können wir damit erklären, dass der Stresslevel im Laufe der Zeit sinkt und entsprechend sich auch die Verhaltensreaktionen verändern, so können sich Angstreaktionen bei geringerem Erregungs-/Stresslevel stark verringert und teilweise gänzlich unterhalb einer Reizschwelle bleiben, bei der wir eine Verhaltensreaktion wahrnehmen können.

Dass plötzlich Baustellen aufgehen passiert, wenn Angst verschwindet. Angst hemmt Verhalten und so wie wir in neuen Situationen, neue Schule, neuer Sportverein, neues Lebenumfeld zunächst tiefstapeln, neigen auch Hunde dazu, Baustellen zunächst “bedeckt” zu halten. Dieses geschieht natürlich nicht willentlich, sondern ist ein Phänomen, welches durch das Wechselspiel aus Individuum, Umwelt und Genetik entsteht.

Schnappen

Wir waren an der Elbe spazieren, mit allen drei Hunden. Sie liefen ausgelassen, liefen ins Wasser und genossen den Spaziergang. Als wir auf dem Weg wieder zum Auto waren, hörte ich Fly von hinten anrennen. Durch ihre Behinderung ist der Gang deutlich von den anderen Hunden zu unterscheiden. Aber anstatt, dass sie, wie gewohnt, an mir vorbei lief, kam sie von hinten und schnappte mir in den linken Knöchel. Da ich nur in Shorts und Turnschuhen unterwegs war, tat es schon ziemlich weh, ohne dass die kleine Attacke aber Spuren hinterließ. Ein Schimpfwort mit A und einem Loch konnte ich mir in diesem Moment nicht verkneifen, dabei blieb es allerdings .

Bei Fly allerdings nicht und sie suchte immer wieder Kontakt mit meinem Bein. Ich markierte die Bewegung zu mir sofort an, belohnte von mir abgewandt mit Futter, was aber immer nur für wenige Meter anhielt. Ich suchte einen Stock, fand einen kleinen Ast, markierte und gab ihr diesen. Der kleine Ast wurde in ziemlich kurzer Zeit zerschreddert. Durch das Anleinen wurde es etwas besser, aber sie schnappte dann vermehrt in Richtung der anderen beiden Hunde. Dann hatten wir das Auto erreicht. Unser Entspannungssignal war hier zwar kurzzeit nützlich, aber es fehlten einfach die Alternativen…

Was war passiert?

Wir hatten eine neue Baustelle.

Durch das Laufen mit den anderen beiden Hunden, das Spielen am Wasser war das Erregungsniveau über einen gewissen Punkt gestiegen, das dieses Verhalten auslöste. Da sie ein Hütehundmix ist, verwundert es mich jetzt nicht so sehr. Häufig beobachten wir dieses Verhalten. Die Bewegung der Füße löst Schnappen aus. Ich gehe sehr stark davon aus, dass Fly dieses Verhalten bereits in ihrem frühren Leben gezeigt hat und es wahrscheinlich stark gehemmt wurde… Wie auch immer…
Wann immer in der folgenden Zeit in dieses Verhalten kam, markierte ich die Annäherung an meine Füsse und belohnt mit Futter weg von mir, oder warf einen Gegenstand nach links vorne, den sie dann tragen konnte.

Hatte sie etwas in den Fang, war der Spuk vorbei, sie hatte ein Alternative. Ich muß dazu sagen, dass dieses Verhalten nur ausgelöst wurde, wenn ich mit allen drei Hunden im Freilauf unterwegs war und dann nach ca. 10 Minuten. Immer wieder wurde die Annäherung markiert und nach aussen wegbelohnt. Nach einiger Zeit, allerings recht wenigen Übunsgminuten, ich ging vielleicht 2-3 Mal die Woche mit allen dreien, ansonsten einzeln oder mit zweien und dann dauerte die Sache immer nur wenige Minuten, kamen wir an einen Punkt, an dem sie mich kurz vor der “Attacke” erwartungsvoll ansah, dieses wurde natürlich markiert und da die Belohnung ja immer links vorne kam ging sie ohne schnappen nach vorne.

Veränderung im Timing

Nun wurde das Timing verändert. Nicht mehr die Ännäherung wurde markiert, sondern der Blick zu mir oder der erste Schritt weg von mir. Ich hatte eine Verhaltenskette gebaut, ich war im Spiel, Strike!!!

Dann kam ein weiteres Brückensignal ins Spiel, ein tertiärer Verstärker, die iB. Sie näherte sich an, schaut mich an, die iB setze ein (taka taka taka) sie ging nach aussen weg, Marker und Belohnung weg von mir. Dann blieb ich mal kurz stehen, sagte: komm, wir gehen weiter, iB, wenn sie weiterging, Marker und Belohnung. So kamen wir recht gut über die Runden und ihre “Ausraster” wurden immer kürzer. Oft kam sie nur noch einmal während des Spazierganges zum mir und suchte den innigen Kontakt…

Die Sache mit der Impulskontrolle

Natürlich klappte es nicht immer so gut und einmal, ja ich gebe es zu, habe ich sie echt angeschissen… Es war kalt, meine Füsse kalt, die Hände kalt, der Trainingstag lang und anstregend. Dann noch “eben” eine Runde mit allen Dreien… Kein Spielzeug dabei, kaum noch Futter…

In dem Moment, wo ich sie angeschrien habe, wußte ich, das es Mist war, aber ich war einfach schlecht drauf und habe so viele Fehler gemacht! Ihr Verhalten aber war verschwunden. Zwei Wochen lang konnte ich mit allen Dreien spazieren gehen und es gab keine Attacke. Ich hatte das Verhalten bestraft… ich hatte es gehemmt, gedeckelt, so, wie es vielleicht vor mir schon jemand gehemmt hatte.

Angst hemmt Verhalten!!!

Dann kam das Verhalten wieder. Häufiger und intensiver als zuvor…
Das war es, was ich in dem Moment wußte, als ich die Nerven verlor… Herzlichen Glückwunsch…


How ever, wir haben mit dem Training weitergemacht wie bisher.

Alternativen durch Verhaltensketten

Heute ist es mir zum wiederholten Male passiert, dass ich über eine Stunde mit allen Hunden unterwegs war und es keine Attacke gab. Sie hat ausgelöst, keine Frage, nur es sah anders aus . Sie kam an, schnaufte kurz und ging, ohne das ich was sagen mußte nach links vorne weg an den Wegesrand und schnüffelte dort . Dieses zeigt sie seit ca. 2 Wochen regelmäßig, ohne das ich was sagen muß.

Teilweise, wenn sie zu erregt ist, muß ich nochmal kurz sagen, wir gehen weiter, dann geht sie nach links weg und ich markiere, wenn sie am Wegesrand ist und belohne entweder mit Futter oder mit dem Signal zum Schnüffeln. Von einem ehemals emotionalen, refelxiven Verhalten, ist ein besonnenes Alternativverhalten geworden.

Und das geile an der Sache ist, dass sie es immer öfter von ganz alleine zeigen kann… es haben sich Verhaltenketten gebildet!

Das Arbeiten mit Markersignalen ist ein wertvolle Werkzeug, welches sehr schonend, und zielführend eingesetzt werden kann und es dem Individuum ermöglicht, Alternativen zu entwickeln und diese dann situativ zeigen kann. Und es verzeiht Fehler, die leider immer wieder passieren, besser als jedes andere System!

Das Video ist Mitte Januar entstanden und zeigt die Mittelphase des Trainings. Ich denke, man kann recht gut die Problematik, aber auch die Lösung sehen.Ich versuche die Tage mal das aktuelle Verhalten einzufangen.

(c) Gerd Schreiber, Hundeschule Sagesch

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